Wir schreiben den 27. April 2018. In der Resega ist alles angerichtet für den ersten Meistertitel des HC Lugano seit 2006. Vieles spricht für die Südtessiner, die den fünften und sechsten Playoff-Final für sich entscheiden konnten. Der psychologische Vorteil liege beim HCL, lassen Experten und Medien im Vorfeld der Finalissima wissen, die Zürcher seien moralisch angeschlagen, weil sie eine 3:1-Führung in der Serie aus der Hand gegeben hätten. Das siebte Spiel, so ist man sich beim Gastgeber einig, soll unvergesslich werden und der Auftakt zu einer grossen Party südlich des Monte Ceneri bilden. Die Stimmung in der ausverkauften Eishalle ist dementsprechend laut und erwartungsfroh.
Aber die ZSC Lions wollen nicht Teil des Festaktes des HCL sein, sie üben sich seit dem ersten Bully genüsslich in der Rolle des Partycrashers. Das frühe Tor von Captain Patrick Geering ist schon einmal ein Stimmungskiller unter den 7200 Fans auf den Rängen. Beinahe hätte Marco Miranda wenig später auf 2:0 für die Gäste erhöht, doch die Refs erkennen den Treffer nicht an. Die Luganesi sind mehrheitlich im Puckbesitz, doch zu den ganz grossen Torchancen kommen sie selten. Und was auf das Zürcher Gehäuse fliegt, wird von Goalie Lukas Flüeler souverän behändigt. Wie immer im Playoff, ist auf den Schlussmann der Löwen Verlass. Zwar peitscht das Publikum die Einheimischen frenetisch an, doch scheinen die Heimfans mehr Energie zu verspüren als ihre Lieblinge auf dem Eis. Den Luganesi fehlt zusehends die Energie, den Rückstand wettzumachen.
Das liegt auch an den Gästen, die diszipliniert und solidarisch verteidigen und sich von der Atmosphäre nicht beeindrucken lassen. Löwen-Trainer Hans Kossmann hat seine Spieler glänzend auf den Gegner eingestellt. Der ZSC wirkt in der Schlussphase frischer und vifer als die Tessiner, bei denen je länger, je mehr die Hoffnung auf eine Wende schwindet. Als der einsatzvolle Ronalds Kenins 20 Sekunden vor Schluss ins leere Lugano-Tor trifft, ist die Entscheidung gefallen – dem ZSC ist der neunte Meistertitel in der Klubgeschichte nicht mehr zu nehmen.
Ein Duo stemmt den Pokal
Coach Kossmann gibt in den verbleibenden Sekunden seinem achten Verteidiger Mathias Seger erstmals am Abend Eiszeit. Es ist eine Huldigung an den Routinier, der so zu einem würdigen Abschied seiner formidablen Karriere kommt: 19 Saisons hat der Fürstenländer für den ZSC gekämpft, gesiegt und gelitten, er ist das grosse Idol und Vorbild bei den Zürchern. Nun darf Seger nach dem insgesamt 1167. NLA-Spiel zusammen mit Captain Geering zum sechsten Mal in seiner Laufbahn den Meisterpokal in die Höhe stemmen. Die Geste des Schwamendingers Geerings zeigt, wie hoch der Stellenwert des damals 39-jährigen Ostschweizers und 305-fachen Nati-Cracks bei den Lions noch immer ist.
Zuvor hat sich unmittelbar nach Spielschluss etwas Seltsames ereignet: Alle frischgebackenen Champions legen ihre Helme ab und tragen eine Maske mit dem Konterfei von «Segi» auf dem Gesicht – ein unglaubliches Bild. Noch heute denkt der St. Galler an jenen Abend gerne zurück. «Der Sieg, das ganze Drumherum mit den Partys wegen des Titels, die Überraschung mit den Masken – das alles bleibt mir wohl ewig in Erinnerung. Obwohl ich eigentlich den besten Platz im Stadion gehabt habe, ist mir vom Spiel selbst relativ wenig im Kopf geblieben. Ich erinnere mich aber an den Big Save von Flüeler gegen einen Abschluss von Maxim Lapierre wenige Minuten vor Schluss.»
Der Einfluss der kanadischen Trainer
Später in der Garderobe greift Stürmer Chris Baltisberger zur Trompete und bläst den Sechseläuten-Marsch; es mangelt beim Sieger nicht an Kreativität nach getaner Arbeit. Der vielseitige Kossmann, am Jahresende als Nachfolger für das wenig erfolgreiche schwedische Duo Hans Wallson/Lars Johansson verpflichtet, richtet eine letzte emotionale Ansprache an die Mannschaft. Er weiss, dass er dank seinem psychologischen Geschick das Team zu einem bemerkenswerten Steigerungslauf und zum Triumph geführt hat, was nicht nur für ihn, sondern auch für den neuen Sportchef Sven Leuenberger eine Genugtuung ist. Mit Kossmann hat überdies ein sechster Cheftrainer mit kanadischen Wurzeln den ZSC in der Neuzeit zu Meisterehren gecoacht – nach Kent Ruhnke (2000), Larry Huras (2001), Harold Kreis (2008), Bob Hartley (2012) und Marc Crawford (2014).
Rückkehrer Crawford hat in der Saison 2023/24 bestätigt, dass die Lions offenbar eine kanadische Führung an der Bande benötigen, um Erfolge zu feiern. Wir zitieren aus dem «Tages-Anzeiger» 2018: «Auch der Löwe, in Zürich das Wappentier, ist von Natur aus eher träge. Erst, wenn man ihn reizt, zeigt er, dass er der König der Tiere ist. So, wie nun die ZSC Lions erst im Playoff ihr wahres Gesicht zeigten.»