Es steht das Duell Nummer vier im Playoff-Viertelfinal zwischen dem ZSC und dem HC Lugano im Hallenstadion an. Völlig überraschend führen die Underdogs aus Zürich Nord gegen den Serienmeister aus dem Tessin in der Best-of-5-Serie 2:1. Für die Fachwelt ist klar: Der Favorit unter der Ägide der schwedischen Trainer-Ikone John Slettvoll wird zurückschlagen und die Serie gegen den Aussenseiter vom unerfahrenen Coach Arno Del Curto wenden.
11’500 Fans haben sich offiziell im Hallenstadion eingefunden – es sind bestimmt Tausende mehr, die am 17. März 1992 die Begegnung zwischen David und Goliath auf dem Eis erleben. Der damalige ZSC-Präsident Pepe J. Wiss erklärt: «Ich weiss heute noch nicht, wie viele Personen tatsächlich in der Halle waren. Ich hatte deswegen auch Krach mit Hallenstadion-Direktor Sepp Vögeli.» Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden vom Gebotenen nicht enttäuscht: Sie sehen ein Spiel, das an Dramatik und Spannung kaum zu übertreffen ist. Nach 22 Minuten heisst es nach einem Shorthander 3:1 für Lugano. Aber die Verteidiger Marcel Wick (33.) und Jiri Faic (57.) sorgen vor Ende der regulären Spielzeit für das 3:3 – der ZSC-Anhang feiert seine Helden in der von Rauch geschwängerten, warmen Halle. Es kommt zur Verlängerung, die nur mit zwölf Feldspielern angetretenen Zürcher mobilisieren ihre letzten Kräfte. Es fällt kein Tor, der Abend wird endgültig zur Nacht.
Simmens Paraden und Krutows Penalty
In der Folge kommt es zum Penaltyschiessen, in dem sich Rolf Simmen übertrifft: Der ZSC-Goalie stoppt die Versuche der Stars Jörg Eberle, Gilles Thibaudeau und Alfie Turcotte, während Adi «Wegge» Hotz aus unmöglich spitzem Winkel, Wladimir «the Tank» Krutow auf freche Art und der elegante Bandenschleifer Sergei Prijachin souverän treffen. Besonders Krutows Penalty gehört zu den Klassikern im Eishockey: Mit geringem Tempo und irgendwie tänzelnd, wie ein Mitglied des Moskauer Bolschoi-Theaters beim Aufwärmen, fährt der Flügel auf Christophe Wahl zu und schiebt den Puck gelassen zwischen den Schonern des Lugano-Goalies hindurch mit etwas Glück ins Tor. Wer sich das heutzutage auf Youtube zu Gemüte führt, möchte den «vollschlanken» Russen mit den feinen Händen am liebsten anschieben.
Nach dem Shootout brechen im Zürcher Volkstempel alle Dämme. Der Jubel ist überschwänglich, der Lärm ohrenbetäubend. Radio-Legende Walter Scheibli kann sich vor Euphorie kaum beruhigen und legt das Mikrofon stundenlang nicht mehr zur Seite. Del Curto wird im Buch «Löwenstärke» mit den Worten zitiert: «Was in jener Nacht los war, werde ich niemals vergessen.» Stürmer Christian Weber, heute Sportchef beim EHC Winterthur, erinnert sich: «Wir waren fest überzeugt, dass wir das vierte Spiel gewinnen würden. Nach dem 10:0-Sieg in der Resega glaubten die Luganesi, dass sie uns im Griff hätten. Doch unser Teamgedanke, unser Wille, etwas Einmaliges zu erreichen, war stärker.» Krutow, so Weber weiter, habe nicht nur wegen der stickigen Luft in der Pause eine Sauerstoffmaske benötigt. «Es war ein unglaublicher, wahnsinniger Abend», fasst der Dübendorfer zusammen. Pepe J. Wiss sagt 32 Jahre später: «Es war ein Wechselbad der Gefühle, vor allem die Verlängerung fühlte sich wie drei Stunden an. Nach dem Triumph taumelte ich vor Glückseligkeit.»
Euphorie in der Stadt
Die sportlichen Geschehnisse in Oerlikon haben Folgen. Die Medien schreiben von der bisher «grössten Sensation in der Schweizer Playoff-Geschichte» oder von einem «Eishockey-Wunder». Der ZSC, wegen Problemen auf und neben dem Eis mitunter auch belächelt, ist mit einem Schlag en vogue und Gesprächsthema Nummer 1 in der Stadt. Das laute Rufen und Springen zu «Wer nöd gumpet, isch kän Zürcher» wird zu einem fahrtechnischen Problem für die VBZ-Fahrer, besonders bei steilen Passagen mit den Trams der Nummern 5 und 6 zwischen dem Zoo und der Innenstadt. Und: Die Epoche des «Grande Lugano» ist beendet, Slettvoll nicht mehr erwünscht.
Nach dem Exploit muss der ZSC für den Halbfinal gegen den SC Bern wegen des Reitspektakels CSI ins Exil nach Kloten ausweichen. «Ich half als Verteidiger aus, weil wir wegen Verletzungen personell so ausgedünnt waren», erinnert sich Center Weber. Die Serie gegen den späteren Meister geht 0:3 verloren.
Aber dieser 17. März 1992 hat einen ganz besonderen Platz in der ZSC-Geschichte. Die wunderbaren Erinnerungen aus Zürcher Sicht werden später durch traurige Nachrichten getrübt: Die damaligen Kultfiguren Adi Hotz (56-jährig/2020) und Wladimir Krutow (52/2012) verlieren viel zu früh ihr Leben. Auch die Reporter-Familie Scheibli weilt nicht mehr unter uns.