Als die Verbrennung des Böögg am Tag vor dem Start des Playoff-Finals wegen zu heftiger Winde ausfiel, schwante einem schon Böses für die ZSC Lions. Schliesslich fühlen sie sich dem Zürcher Traditions anlass stark verbunden, spielen sie bei ihren Toren jeweils den Sechseläutenmarsch ab.
Prompt begann für sie das Unheil. Hatten sie den Viertel- und den Halbfinal gegen Biel und Zug jeweils mit 4:0 Siegen abgehakt, wurde es für sie gegen das leidenschaftliche, kämpferische, manchmal unflätige Lausanne kompliziert. Sie wurden richtig durchgeschüttelt. Und dann verloren sie, die zuvor von Verletzungen verschont geblieben waren, plötzlich Spieler um Spieler.
Der schnelle Yannick Zehnder fiel aus, der im Playoff magistrale Yannick Weber, Künstler Rudolfs Balcers und in der Finalissima vom Dienstag auch noch Denis Malgin. Es waren ergreifende Szenen, als der Topskorer mitten im Spiel auf der Bank zu weinen begann und von den Teamkollegen getröstet werden musste, weil sein lädierter Fuss keine weiteren Einsätze mehr zuliess.
Es könne doch nicht sein, dass der ZSC einfach so Meister werde, hatte vor dem Duell mit Lausanne ein Berufskollege mit blau-weiss-rotem Herzen gesagt. Das passe doch nicht zu diesem Klub. Die Zürcher hatten ihre Playoff-Finals meist auf dramatische Weise gewonnen – nach scheinbar hoffnungslosen Rückständen, mit Last-Minute-Toren, in der Overtime oder im Penaltyschiessen.
Da war sie nun also, die Meisterprüfung, und die ZSC Lions bestanden sie mit Bravour. In diesen schwierigen Momenten rückten sie noch enger zusammen. Ohne zwei Drittel ihres Paradesturms und ihren besten Verteidiger im Playoff rangen sie Lausanne im entscheidenden siebten Spiel 2:0 nieder und sicherten sie sich den siebten Meistertitel in der Playoff-Ära, den zehnten insgesamt.
Es gibt kaum eine Saison, vor der die ZSC Lions nicht als Topfavorit ausgerufen werden. Doch talentierte Spieler allein garantieren noch keine Titel. Ihre grösste Stärke war in diesem Winter, dass sie ein Team wurden, in dem jeder seinen Platz fand. Und als mehrere Topspieler ausfielen, rückten einfach andere nach.
Es ist Coach Marc Crawford hoch anzurechnen, wie es ihm gelang, in diesem breit besetzten Kader jedem eine Rolle aufzuzeigen. Wie er es schaffte, dass sich eben nicht nur alles um Stars wie Malgin drehte. Das war der Unterschied zu 2022, als die ZSC Lions im Final gegen den EV Zug ein 3:0 verspielt hatten. Als damals der Paradelinie das Benzin ausging, war es vorbei. Diesmal produzierten die ZSC Lions immer wieder neue Helden.
Dass die Zürcher dieses letzte Spiel gewannen, ist für sie von grosser Bedeutung. Sie zeichnete in diesem Jahrtausend aus, dass sie es verstanden, ihre Chancen zu packen. 2000 rangen sie im Final ein scheinbar übermächtiges Lugano nieder, 2001 sogar nach einem 1:3-Rückstand. Sie wurden von Rang 6 (2008) und sogar zweimal von Rang 7 (2012, 2018) aus Meister, weil sie in der entscheidenden Phase über sich hinauswuchsen. Sie entwickelten eine Kultur des Siegens. Auch diese stand nach dem dramatischen Scheitern vor zwei Jahren auf dem Spiel.
Nach der letztjährigen Blamage im Halbfinal gegen Biel (0:4) geriet Sportchef Sven Leuenberger in heftigen Gegenwind. Der «Tages-Anzeiger» stellte sich damals hinter Leuenberger – gerade im Umbruch könne man auf sein Know-how nicht verzichten. Und der Ostschweizer zog die richtigen Schlüsse. Er lotste Malgin zurück aus der NHL, engagierte drei ausländische Stürmer (Balcers, Frödén, Grant) mit ganz unterschiedlichen Qualitäten, stattete talentierte Junge mit Profi verträgen aus. Das Team bleibt nun zusammen, und der grösste Feind dürfte für die Zürcher die Genügsamkeit sein, die jeden Meister im Jahr danach einholt.
Mit ihrem Siegeszug mobilisierten die ZSC Lions die Massen weit über ihr Stammpublikum hinaus. 8600 kamen ans Public Viewing im Stadion für Spiel 6, am Showdown verfolgten über 1000 das Spiel vor der Arena. Zürich nun zur Hockeystadt auszurufen, wäre wohl übertrieben. Zürich ist eine Eventstadt, wo die Leute aufspringen, wenn etwas los ist. Aber man hat doch das Gefühl, dass die ZSC Lions in ihrem neuen Heim in Altstetten etwas ausgelöst haben.
Es dürfte zur Identifikation mit dem Team beitragen, dass es zum Gros aus Zürchern besteht. Angefangen bei Captain Patrick Geering, der die Werte pflegt, die so wichtig sind in diesem Sport. Und die Zukunft ist auch schon vorgespurt. Die Teams der U15-Elit, U17-Elit und U20-Top wurden ebenfalls Meister, die besten U20-Spieler spielten bereits im Playoff-Final der Swiss League. Weil auch die Frauen triumphierten, war die abgelaufene Saison die erfolgreichste in der Klubgeschichte. Das bewog den sonst so zurückhaltenden Patron Walter Frey dazu, bei der Pokalübergabe mit dem Team zu feiern.
Es war also nicht nur ein spezielles Jahr am Sechseläuten, sondern auch für die ZSC Lions. Und etwas Gutes hatte es, dass es am Seebecken so heftig windete. So konnte auch der Böögg endlich einmal miterleben, wie die Zürcher Meister wurden.
Simon Graf, Tages-Anzeiger